ERFINDER UND GESELLSCHAFT

Der Denkanstoß zu diesen Zeilen stammt von einem Artikel in raum&zeit, unterzeichnet von dem Schweizer Ingenieur Pierre Matthey, veröffentlicht unter dem Titel FREIE ENERGIE IST IN UNS - NICHT IN MASCHINEN.

Matthey schreibt unter anderem: "Es ist gerecht, daß Erfinder geschützt werden und für ihre Arbeit eine anständige Belohnung erhalten. Sobald aber eine Erfindung gemacht worden ist, gehört sie der Menschheit, nicht mehr dem Erfinder, und er muß dafür sorgen, daß sie zugunsten der Menschheit verwertet wird. Dann ist er frei für weitere Erfindungen".

Diese Feststellung hat einiges für sich. Sie bringt uns dazu, den ganzen Komplex des Patentrechtes, wie es heute besteht, neu zu überdenken. Das heutige Patentrecht ist weder in der Lage, dem Erfinder auf der einen Seite, noch der Gesellschaft auf der anderen einen wirkungsvollen Interessenschutz zu gewährleisten.

Das Interesse des Erfinders

Wer je versucht hat, eine Erfindung zu patentieren, insbesondere wenn diese Erfindung sich außerhalb der Grenzen der gängigen wissenschaftlichen Vorstellungen bewegte, weiß ein Lied davon zu singen, wie effektiv die Patentbürokraten einer neuen Idee den Garaus machen können. Wenn's zum Beispiel nach den "Gesetzen" der Thermodynamik nicht geht, dann kann's unmöglich in der Praxis funktionieren.

Eine beträchtliche Anzahl von Erfindern haben jahrelang und mit unglaublichem Zeit- und Geldaufwand versucht, Erfindungen zu patentieren und haben am Ende vor den Barrieren der Patent-Mafia kapituliert. Angesichts dieser Schwierigkeiten ist es nicht verwunderlich, daß einige Erfinder ihr Geheimnis mit ins Grab nahmen und die von ihnen gemachten Erfindungen so für immer verlorengingen.

Gelingt es einem Erfinder trotz aller Hindernisse, ein Patent für seine Erfindung zu erlangen, dann steht er vor der Wahl, seine Erfindung entweder möglichst teuer zu verkaufen (und sie vielleicht für immer in der Schublade verschwinden zu sehen) oder einen Lizenznehmer zu finden. Der Lizenznehmer ist meist ein großes Industrieunternehmen und wenn dieses Unternehmen seinen Profit durch lästige Lizenzgebühren geschmählert sieht, ist die Versuchung groß, einfach nicht zu zahlen oder eine Rechtslücke zu finden. In diesem Falle ist es für den Erfinder so gut wie unmöglich, Zahlungen mit Hilfe von Anwälten und Gerichten zu erzwingen, und sicherlich ist ein solcher Versuch immer mit beträchtlichen Spesen verbunden.

Das Interesse der Gesellschaft

Das Interesse der Gesellschaft an Erfindungen ist, diese zum Wohle aller angewendet zu sehen. Das Patentgesetz trägt hierzu wenig bei. Im Gegenteil - wie oft kommt es vor, daß eine Erfindung patentiert wird und das Patent wird aufgekauft, um dann für immer in der Versenkung zu verschwinden.

Ich sehe hier bewußt davon ab, Namen zu nennen und einzelne Fälle zu zitieren. Es gibt eine Anzahl interessanter Bücher, in denen eine Fülle von traurigen Beispielen aufgeführt sind, und für jede in einem Buch veröffentlichte Geschichte gibt es wahrscheinlich drei weitere, die nie an die Öffentlichkeit gelangt sind.

Überlegungen zu einem neuen Patentrecht

Der Erfinder ist, wie der Maler, der Bildhauer und der Komponist schöpferisch tätig. Er zeichnet sich durch eine überragende Intelligenz und eben den "Erfindergeist" aus, die es ihm ermöglichen, Dinge zu sehen und Zusammenhänge zu erkennen, die uns normal Sterblichen verborgen bleiben. Unser aller Zukunft und der technische Fortschritt der Menschheit hängen in großem Masse von den Erfindern und ihrer Tätigkeit ab.

Wie ein Musikstück, wenn es einmal komponiert und aufgeführt ist, nicht mehr dem Künstler allein gehört, so gehört auch eine Erfindung, nachdem sie gemacht ist und produziert wird, nicht mehr dem Erfinder. Genauso wie der Komponist aber von der GEMA für Aufführungen seines Stückes oder den Verkauf von Musikaufnahmen auf Schallplatten oder Tonbändern eine Gebühr erhält, so sollte der Erfinder für jedes verkaufte Stück seiner Erfindung eine angemessene Vergütung erhalten.

Alle Erfindungen sollten zur kommerziellen Nutzung frei zur Verfügung stehen, das heißt, ein jeder soll sie herstellen und verkaufen dürfen, mit der einzigen Auflage, daß ein gewisser Prozentsatz des Verkaufspreises an den Erfinder abgeführt werden muß. Diese Erfindervergütung sollte aufgrund des großen Wertes der Erfindertätigkeit für die Gesellschaft von der Einkommensteür befreit sein.

Außer dem Einkommensteuergesetz wären natürlich auch die Patentgesetze in diesem Sinne zu revidieren. Das Patentamt sollte sich auf die folgenden Aufgaben beschränken:
  1. Die chronologische Zuraktennahme aller Erfindungen. Anmeldungen sollten eine möglichst genaue Beschreibung der Erfindung enthalten, und die zu entrichtende Anmeldungsgebühr sollte minimal sein.
  2. Aktennachforschungen (auch diese zu minimaler Gebühr) um zu recherchieren, ob eine analoge Erfindung schon früher angemeldet worden ist und wenn dies der Fall ist, erschöpfende Auskunft über die vorher erfolgte Anmeldung.
  3. Veröffentlichung aller eingegengenen Anmeldungen im entsprechenden Amtsblatt.
Das Patentamt sollte nicht mehr zur Erteilung von Patenten ermächtigt sein. Die Zuraktennahme und nachfolgende Veröffentlichung einer Erfindung dürfen auf keinen Fall verweigert werden, auch nicht, wenn eine frühere Anmeldung derselben oder einer ähnlichen Erfindung besteht.

Ein Alleinrecht zur Nutzung einer Erfindung (sprich: Patent) sollte in keinem Falle mehr vergeben werden, da die Erfindungen Eigentum der Allgemeinheit sind.

Um Erfindervergütungen einzutreiben und an die Erfinder abzuführen, sollte eine Gesellschaft ähnlich der GEMA (Gesellschaft für Musikalische Aufführungsrechte) gegründet und dem Patentamt angegliedert werden. Die Aufgabe dieser Gesellschaft wäre das Auffinden von Produkten auf dem Markt, die eine Erfindung darstellen oder beinhalten, welche am Patentamt angemeldet wurde. Ein zu bestimmender Prozentsatz des Verkaufspreises des Produkts wäre somit an die Gesellschaft zur Wahrung der Erfinderrechte abzuführen und von dieser, nach Abzug von Verwaltungskosten, an den Erfinder.

Einziger Ausnahmefall zu dieser Regel wäre, daß eine Erfindung schon vorher von einem anderen Erfinder angemeldet wurde, oder daß sie schon vor der Zeit der Anmeldung im Verkauf erhältlich war oder ihr Gebrauch allgemein üblich war.

Wollte ein Erfinder die zeitliche Reihenfolge der Anmeldung oder die Höhe der Vergütung anfechten, so sollte er sich zu diesem Zweck an eine paritätische, aus Erfindern und Industriellen zusammengesetzte Kommission wenden können. Falls der Streitfall damit nicht abgeschlossen sein sollte, wäre der Weg zu den ordentlichen Gerichten offen.

Wir hätten damit also erreicht, daß alle Erfindungen frei zur kommerziellen Nutzung zur Verfügung stünden. Die Erfinder erhielten eine angemessene Vergütung und anstatt sich mit Rechtsanwälten und Gerichten herumschlagen zu müssen, wären sie frei für weitere Erfindungen.

Man könnte hier einwenden: "Was geschieht jedoch mit den unvermeidlichen Flops, mit den Erfindungen, die offensichtlich zu nichts nutze sind? Sollten die nicht durch einen Auswahlvorgang eliminiert werden, wie das beim heutigen Patentrecht der Fall ist?"

Die Antwort hierzu ist, daß solche Erfindungen einfach zu den Akten genommen, veröffentlicht und dann vergessen werden, weil sich niemand finden wird, der sie herstellen und verkaufen will.

Und wenn eine von diesen Erfindungen doch hergestellt und verkauft wird?

Anscheinend war sie dann doch nicht so schlecht.

Josef Hasslberger
Rom - Italien
1989