Arbeitslosigkeit - Fluch oder Segen?

Die Arbeitslosenquote steigt und jeder weiß, daß nun fest investiert werden muß, daß die Wirtschaft, d. h. der Konsum angekurbelt werden muß, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Oder etwa nicht?

Wenn ein Problem schier unlösbar erscheint, dann ist es an der Zeit, sich den Grund des Problems und die bisher bekannten Lösungen vor Augen zu führen und nachzudenken. Ist die bisher praktizierte “Lösung” des Problems wirklich der einzige praktikable Weg? Ist etwa das Problem ein ganz anderes?

Mir scheint, daß im Bezug auf die Arbeitslosigkeit diese Fragen gestellt werden müssen.

Arbeit als Lebensziel?

Auch auf die Gefahr hin, etwas revolutionär zu wirken, möchte ich auch unsere Einstellung zur Arbeit etwas näher beleuchten. Wir kennen den Ausspruch “Arbeit adelt” und da ist sicher etwas dran, in dem Sinne, daß eine produktive Tätigkeit ein Gefühl der Erfüllung, der Zufriedenheit mit sich selbst fördert.

Aber ist es auf der anderen Seite wirklich nötig, daß bei jungen Ehepaaren oft beide Partner arbeiten, um sich die Wohnung, die Einrichtung, die Ferien, die Schule der Kinder und andere wichtige und weniger wichtige Dinge leisten zu können?

Ist es, grundsätzlich gesehen, in einer zivilisierten Gesellschaft wirklich nötig, daß alle arbeiten? Oder sind wir hier einem grenzenlosen Konsumdenken verfallen, das mit geschickter Manipulation uns glauben macht, es gäbe gar keinen anderen Weg.

Stellen wir uns eine Gesellschaft vor, in der zwar jeder Mensch eine wichtige und nützliche Funktion erfüllt, aber noch lange nicht jeder deswegen einen “Arbeitsplatz” besetzen muß. Das mag zwar etwas schwierig sein, aber fangen wir nur einmal bei den Müttern an. Ist das Erziehen von Kindern etwa keine wichtige und nützliche Funktion? Denken wir an Künstler, an Forscher, an Erfinder, die alle einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Sie würden ohne wirtschaftlichen Zwang sicherlich imstande sein, Besseres zu leisten.

Zwei Fragen drängen sich auf. Erstens, ist die Produktion der notwendigen Güter sichergestellt, wenn nur wenige arbeiten und zweitens, wovon sollen die Personen leben, die keinen Arbeitsplatz haben.

Technologie hilft

Sicher ist die Produktion der n�tigen G�ter kein Problem. In der Tat, das Problem der Arbeitslosigkeit ist zum Teil auf eine technisch bedingte �berproduktion zur�ckzuf�hren.

Es ist zum Beispiel heute m�glich, in der Industrie ein Vielfaches an Produktion mit Hilfe von Montagerobots und verbesserten Herstellungsverfahren zu erreichen, als vor nur drei�ig oder vierzig Jahren m�glich war. Die mechanische Flie�bandarbeit f�llt weg. Daf�r m�ssen die Arbeitskr�fte besser qualifiziert sein. Ein l�ngeres Studium wird n�tig.

Wir mogeln

Es ist sogar so, da� um der Erhaltung der Arbeitspl�tze willen unsere Industrie die tollsten Verrenkungen durchf�hrt und die Verschwendung zum Motto geworden ist.

Sehen wir uns nur die technischen Produkte an. Vom Auto bis zur Waschmaschine, vom Staubsauger bis zum Radio, alles ist auf Zeit gebaut. Nach einer bestimmten Anzahl von Betriebsstunden mu� alles kaputt gehen. Dieser Zeitpunkt ist im Design eingeplant und durch Versuche aufs Genaueste vorherbestimmt worden.

Ansonsten w�rde der Umsatz stocken und es m��ten Arbeitspl�tze abgebaut werden.

Diese Philosophie der Wegwerfgesellschaft durchdringt die ganze Zivilisation. Der scheinbare Grund ist der Arbeitsplatz, der auf alle F�lle erhalten werden mu�.

Wir sehen dasselbe Ph�nomen bei der Vernichtung von Obst und Gem�se, wenn eine gute Ernte die Preise zu dr�cken droht.

Eine Frage der Verteilung

Der springende Punkt ist aber nicht der Arbeitsplatz, sondern die Frage, wie der Lebensunterhalt derjenigen bestritten werden soll, die aus irgendeinem Grunde keine bezahlte Arbeit aus�ben.

Hier ist es zun�chst wichtig zu wissen, da� das Geld, das unser Schaffen erarbeitet, also der Gegenwert unserer Arbeit, nicht sehr gerecht aufgeteilt wird. Ein Teil des Geldes geht an uns, ein Teil wird f�r den Alters- und Krankheitsfall zur�ckgelegt, ein Teil geht an den Unternehmer f�r Rohstoffe und als Lohn f�r seine risikoreiche T�tigkeit. Das sind aber bisher nur etwa drei�ig bis vierzig Prozent des Gegenwertes des fertigen Produkts.

Wo bleibt der andere Teil? Er ist der Lohn derjenigen, die uns unsere Arbeit �erm�glichen�. Das ist kein schlechter Witz. Getarnt als Steuern, als Mieten, als Benzinpreis, als Teil unserer Lebenshaltungskosten, sowie als direkte Zinsleistung des Unternehmens, geht weit mehr als die H�lfte unseres Arbeitserl�ses an diejenigen, die ihr Geld gewinnbringend investiert haben, sei es in Aktien (des Unternehmens), sei es in Staatsanleihen oder in sonstigen zinsbringenden Anlagen.

Für wen arbeiten wir?

Wenn wir genau kalkulieren, zeigt sich, da� wir nur zu einem kleinen Teil f�r uns selbst arbeiten. Zum Gro�teil arbeiten wir f�r die Investitoren. Ich m�chte hier das Wort Kapitalisten nicht verwenden, denn es hat einen sehr starken Beigeschmack von Klassenkampf. Wir wollen keinen Kampf. Da gibt es immer den lachenden Dritten, wie beim Kommunismus, der den Unternehmer verteufelte und den Staat zum Unternehmer machte. Das Ergebnis kennen wir mehr oder weniger alle. Nicht gerade erstrebenswert.

Ist also die technisch bedingte Arbeitslosigkeit ein zu bek�mpfender Zustand oder etwas W�nschenswertes? Da kommt es auf den Standpunkt an.

Falls ich �ber ein riesiges Verm�gen verf�gte, das in zinstr�chtigen Wertpapieren angelegt w�re, so w�rde ich sagen: Bek�mpft die Arbeitslosigkeit. T�tigt neue Investitionen. Damit w�re n�mlich auch mein Verm�gen und sein stetiges Anwachsen in Zukunft gesichert.

Ein anderer Vorschlag

Wie gesagt, es gibt auch einen anderen Weg, der Arbeitslosigkeit Herr zu werden und gleichzeitig sicherzustellen, da� alle genug zum Leben h�tten.

Das w�re nicht ganz schmerzlos f�r die gro�en �unt�tigen� Verm�gen. Sie w�rden nach und nach dahinschmelzen. Der Widerstand gegen eine solche L�sung w�re gro�, aber letzten Endes auf wenige Personen zur�ckzuf�hren. Diejenigen n�mlich, (wenige Prozent der Bev�lkerung), welche rein vom Zins leben, auf unser aller Kosten.

Auf der anderen Seite w�re es aber m�glich, durch gerechtere Verteilung der Arbeit alle irgendwie zum Mithelfen anzuregen und durch gerechtere Verteilung des Arbeitserl�ses sicherzustellen, da� auch diejenigen genug zum Leben haben, die eine �unwichtige� Funktion bekleiden, wie z.B. die M�tter, die Hausfrauen, die K�nstler und die Tr�umer . . .

Das geht ja nun doch zu weit, wird jemand einwenden. Wozu brauchen wir die Tr�umer und warum sollen wir sie auch noch f�ttern?

Wie diese Welt in allen Einzelheiten aussehen sollte, das m��ten wir uns alle miteinander mit Mu�e �berlegen, und vielleicht h�tten hier gerade die Tr�umer die besten Ideen.

Der Weg

Auch der Weg selbst ist nicht in zwei Zeilen niederzulegen.

Silvio Gesell hat in seinem Werk �Die nat�rliche Wirtschaftsordnung� die Mittel aufgezeigt, die uns aus der Arbeitslosigkeit heraushelfen k�nnten. Man sollte sich an dieses Buch wirklich heranwagen, denn wenn wir grundlegende Entscheidungen in Sachen Wirtschaft den Experten allein �berlassen, dann kommen dabei allerhand Ungereimtheiten heraus, wie: �Jeder mu� arbeiten, damit jeder konsumieren kann, damit jeder arbeiten kann�.

In anderen Worten, kurz und pr�gnant: Die Arbeitslosigkeit ist kein konjunkturelles, sondern ein strukturelles Problem. Sie ist ein Anzeichen f�r eine positive Entwicklung unserer Zivilisation. Das �Schaffen von Arbeitspl�tzen� und �Ankurbeln der Wirtschaft� als einzige Gegenma�nahmen stellt eine �u�erst kurzsichtige Probleml�sung dar, die den Kern der Sache bei weitem verfehlt.

Josef Hasslberger
Rom, Italien
25. Mai 1993